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Law Office Management


Deutsche wirtschaftsberatende Kanzleien im Wettbewerb mit anglo-amerikanischen Weltfirmen – chancenlos?

Das Wachstum anglo-amerikanischer "law firms" - unten "Anglo-Kanzlei" genannt - ist nicht nur durch Vorteile internationaler Kooperation und Arbeitsteilung verursacht, sondern zeigt auch ihre überlegene Organisation. Durch deren Übernahme werden deutsche Büros auch für sich genommen profitabler. Nach einer Fusion einer "law firm" mit einem kontinentaleuropäischen wirtschaftsberatenden Anwaltsbüro wird die interne Organisation der Anglo-Kanzleien meist in kürzester Zeit durch den kontinentaleuropäischen Fusionspartner übernommen. Der ökonomische Nutzen der Fusion, der die hinzu kommenden Partner der deutschen, spanischen oder französischen Kanzleien überzeugt hatte, entsteht nicht zuletzt dadurch.

Die Neuerungen, denen die juristischen und nichtjuristischen Mitarbeiter nach der Fusion ausgesetzt sind, liegen in vier Bereichen:

 

 

Billing Circle

Die Abrechnung gegenüber den Mandanten gehört traditionell nicht zu den bevorzugten Tätigkeiten des deutschen Anwalts. Das gleiche gilt für die minutiöse Erfassung der Leistungen, die der Anwalt für den Mandanten erbringt. Gewöhnt an die BRAGO-Abrechnung, wird so manches lange Telefongespräch im Rahmen eines Mandats geführt, ohne daß es dem Mandanten in Rechnung gestellt wird. Die geringe Aufmerksamkeit für die Abrechnung führt zu zwei ökomomischen Nachteilen:

Auch in deutschen wirtschaftsberatenden Kanzleien wird regelmäßig auf Basis von Zeithonorar oder Pauschalverträgen abgerechnet, in Anglo-Kanzleien ausschließlich. Die BRAGO ist hier nur bei der Kostenerstattung durch den Gegner interessant. Darin liegen die Unterschiede nicht. Wesentlicher ist die Abrechnungsorganisation der Anglo-Kanzleien:

Es gibt nur wenige Anwaltssoftware-Produkte in Deutschland, mit denen ein derartiger Ablauf machbar ist, d.h. bei denen das Zeitabrechnungssystem die Doppelrolle des Abrechnungswerkzeugs und der internen Leistungserfassung erfüllen kann. In der Regel ist die Zeitabrechnung in deutschen RA-Programmen als Datensammlung konzipiert, von der man in einer Akte Gebrauch machen kann, aber nicht muß. Die Anforderungen sind zum Beispiel:

  1. Auch bei BRAGO-Abrechnung einer Akte wird die darauf verwendete Zeit erfaßt, d.h. die Leistungserfassung ist das universelle Obersystem jenseits der Alternative Zeithonorar / BRAGO-Honorar.
  2. Das System darf nicht von einem einzelnen Teilnehmer hintergehbar sein, selbst nicht von einem Partner. Es muß organisatorisch-technisch sichergestellt werden (können), daß Zeiterfassungseinträge nur dann als abgerechnet gekennzeichnet werden, wenn die entsprechende Rechnung an den Mandanten herausgeht, und deren Betrag als Forderung in der Buchhaltung und der Liste offener Posten erscheint.
  3. Wichtig ist der Unterschied zwischen dem internem Stundensatz – zu dem ein Partner-Dezernat Arbeitszeit der Anwälte eines anderen Dezernats “kaufen” kann – und dem externen Stundensatz, der mit dem Mandanten vereinbart ist.

Die meisten deutschen RA-Software-Produkte sind für Kanzleien, die diese oder eine ähnliche Organisation anstreben, nicht besonders interessant. Anglo-Kanzleien nutzen auch in Deutschland US- und englische Anwalts-Software.

 

 

Law Office Resource Management

Jedem Zeiterfassungs-Eintrag, etwa: “14.00 h – 14.15 h, Telefongespräch mit Mandant in Sachen ‚Meier ./. Schulze‘” werden bei der Datenbank-Speicherung diverse Informationen zugeschrieben: Akte, Mandant, Tätigkeitsart, leistender Rechtsanwalt, Partner-Dezernat. Auswertungen sind möglich u.a. nach Orten der überörtlichen Kanzlei, Mandanten, Gegnern, Akten, Rechtsgebieten.

Dadurch ergeben sich vielfältige Möglichkeiten der Ressourcenkontrolle und –planung. Beispielsweise ist es so möglich, die Rentabilität von Mandaten, Rechtsgebieten, Mandanten oder Mandantengruppen zuverlässig, anhand valider Zahlen, zu vergleichen und zu bewerten. Vergleichende Statistiken über die Performance der verschiedenen Büros sind besonders wichtig. Aus den Unterschieden zwischen ihnen lassen sich Anhaltspunkte gewinnen für hier oder dort mögliche, ganz erhebliche Optimierungen. Die Leistungsbewertung der Anwälte und Dezernate wurde schon angesprochen. Zwischen Dezernaten, und zwischen Anwälten gleicher Rechtsgebiete und gleicher Tätigkeitsdauer sind analytische Vergleiche möglich, die jedem Teilnehmer zu weiterer Perfektion verhelfen. Ferner kann man Entwicklungstendenzen feststellen, etwa verstärkte Nachfrage nach bestimmten Rechtsgebieten, verringerte Nachfrage nach anderen. Dies kann man in der Nachwuchsplanung und beim Auftritt in der (Mandanten-) Öffentlichkeit berücksichtigen.

Die Qualifikationen aller Mitarbeiter werden in einer Datenbank erfaßt, um auf Nachfrage sofort reagieren zu können, etwa durch Delegation eines Mitarbeiters in ein anderes Büro. Die EDV wird stark zentralisiert, nach einheitlichen Normen werden Rechner beschafft und Benutzeroberflächen eingerichtet, Wildwuchs verhindert, wodurch Rationalisierungsvorteile entstehen. Insgesamt sind Anglo-Kanzleien den normalen Wirtschaftsunternehmen um einen wesentlichen Schritt näher, handeln ökonomisch und strategisch wie diese.

 

 

Knowledge Management, Practice Groups, Weiterbildung

In jeder größeren deutschen Kanzlei ist vermutlich schon einmal jemand auf die Idee gekommen, nicht bei jedem Gesellschaftsvertrag und jeder due diligence das Rad zum zweiten Mal zu erfinden, sondern nach Kanzlei-Standards vorzugehen, die personenunabhängig sind und laufend entwickelt werden. Von diesem Vorsatz zu seiner systematischen Umsetzung ist es ein weiter Weg, auf dem Anglo-Kanzleien im Durchschnitt weiter voran gekommen sind. Es werden Dokumenten-Management-Systeme (DMS) genutzt, die es ermöglichen, mit strukturierter Suche, zuweilen auch mit Volltext-Suche, wichtige Dokumente zu einem Problemkreis zu finden. In Praxisgruppen der Anwälte eines Rechtsgebiets bemüht man sich um die Erstellung und Weiterentwicklung von Standards, die wiederum im DMS gespeichert werden. Wichtige Mandanten erhalten direkten Zugriff auf ihre eigenen Akten.

Der Zugang zu den wichtigsten juristischen Datenbanken von jedem Schreibtisch aus ist selbstverständlich, Weiterbildung hat einen hohen Stellenwert. Zuweilen gibt es eigene, ansonsten externe EDV-Trainer, die jedem Einsteiger eine mindestens eintätige Schulung angedeihen lassen. Eigene Schulungen für Anwälte und Sekretärinnen werden veranstaltet, bei der Finanzierung externer Kurse wird großzügig verfahren. Nur von hoch qualifizierten Leuten kann man viel erwarten - und eben auch verlangen.

 

 

Leverage, Staff Ratio

“Leverage” – Hebelkraft – nennt man das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Partnern und angestellten Anwälten, den Associates. In Deutschland bis in die neunziger Jahre in wirtschaftsberatenden Kanzleien üblich: 1:1 bis 1:2, in Anglo-Kanzleien: mindestens 1:3, meist höher. In Anglo-Kanzleien ist somit ein höherer Anteil der Berufsträger angestellt und nicht am Gewinn beteiligt. Das ermöglicht wettbewerbsfähige Angebote und höhere Investitionen, etwa in Informationstechnik.

Die höhere Leverage kommt durch zwei Faktoren zustande.

Einmal dauert es länger, bis ein Associate Partner werden kann. In Deutschland waren zwei bis vier Jahre üblich, in Anglo-Firmen sind es 6 – 8 Jahre. Zum anderen ist die “partner promotion rate” – der Anteil der eintretenden Associates, der am Ende als Partner aufgenommen wird - wesentlich geringer, 20 % oder weniger. Eine realistische Annahme ist, daß jemand, der von einer Anglo-Kanzlei als Associate eingestellt wird und nach zwei Jahren noch Hoffnung auf die Partnerschaft hat, eine Chance von unter 50 % hat, die Hoffnung bestätigt zu sehen. Es ist möglich, hoch bewertete Eigenschaften des juristischen Nachwuchses – Selbstvertrauen, Ehrgeiz – mehr zu fördern und besser in den Nutzen der Firma zu stellen, als bisher üblich. Das tun die Anglo-Kanzleien.

Staff ratio ist das zahlenmäßige Verhältnis von Berufsträgern zu sonstigem Personal. In Deutschland 1:1 oder mehr Nichtjuristen, in Anglo-Kanzleien 1:1 oder mehr Juristen. Es werden dort ca. 20 - 30 % weniger Sekretärinnen und Schreibkräfte beschäftigt als hier üblich, statt dessen mehr Trainerinnen, Controller, EDV-Leute, Buchhalterinnen - unterm Strich weniger Nichtjuristen pro Anwalt. Das gelingt vor allem dadurch, daß die besser organisierte Informationstechnik durch ausgebildetes Personal intensiv genutzt wird, was Arbeit erspart. Dokumentvorlagen und Textbausteine werden in Fülle zentral bereitgestellt und genutzt. Mehrfaches Eintippen derselben Daten wird vermieden. Normal ist, daß Anwälte zumindest die Korrekturen ihrer Schriftstücke am Bildschirm selbst machen, ihre Zeit selbst eingeben, selbst Rechnungen erstellen. Typisch ist ein Sekretariat eines Dezernats, in dem fünf Juristen arbeiten und drei Sekretärinnen.

 

 

Chancen deutscher Kanzleien im Wettbewerb

Den deutschen “boutique style” Kanzleien – damit meine ich welche, die mehrere größere Wirtschaftsunternehmen auf den meisten Rechtsgebieten beraten und zehn oder mehr Rechtsanwälte mit unterschiedlichen Spezialisierungen haben – sind gut beraten, auf einigen der obigen Gebiete mit der Anglo-Konkurrenz gleichzuziehen. Der Wettbewerbsdruck auf sie wird zunehmen. Wer dem zuvorkommt, hat die besten Karten. Die Umstellung des “billing” ist dabei das erstrangige Thema, auch weil Kanzleimanagement dadurch eher möglich wird. Software, die leistungsfähige Zeitabrechnung unterstützt, ist auch in Deutschland verfügbar und durchaus erschwinglich.

Bei Rechtsgebieten und Branchen gibt es viele Nischen, die für die Anglo-Firmen nicht schnell zu erobern sind. Auch außerhalb des anglo-amerikanischen Systems werden Spitzen-Wirtschaftsrechtler arbeiten, viele der Besten. In den USA haben die "Top 100 law firms” das Problem, daß zwischen dem zweiten und dem fünften Associate-Jahr viele Spitzen-Leute ausscheiden, weil ihnen dort die Wahrscheinlichkeit, Partner zu werden, trotz aller ermutigenden Worte zu gering ist. Sie gehen zu kleineren Wettbewerbern, wo die Perspektive sicher ist. Nach sieben Jahren können die Top-Firmen noch zwischen Helden wählen, doch manche Superheldin ist weg. Der Wettbewerb profitiert davon.

Die Vorteile der Standardisierung und des Dokumenten-Management können über den Markt auch kleineren Kanzleien zugute kommen. Schon jetzt verkaufen Kanzleien über das Internet ihre Musterverträge. Der Markt wird sich ausweiten, Kooperationen werden zunehmen. In Musterdokumenten werden eines Tages XML-Auszeichnungen enthalten sein für Parteien, Vertragsobjekte usw., so daß diese Musterdokumente aus den üblichen Anwaltsprogrammen heraus ausgefüllt werden können – ein Ablauf, der derzeit nur in einer überörtlichen Kanzlei wirtschaftlich rentabel vorbereitet werden kann. Analytische Unternehmens- und Performance-Vergleiche werden von spezialisierten Beratungsunternehmen angeboten, so daß kleineren Firmen vergleichbare Möglichkeiten der Planung und Optimierung offen stehen.

Der Rechtsmarkt wird sich in den nächsten 15 Jahren in Deutschland stärker verändern als in den letzten, so viel kann man sagen. Durch zunehmenden ökonomischen Druck wird es immer wichtiger nachzurechnen, mit welchem “Materialeinsatz” des Unternehmens Anwaltskanzlei wieviel erlöst wurde. Materialeinsatz: Das ist vor allem die Zeit der Anwälte. Der Trend geht zur Zeiterfassung, auch für BRAGO-Mandate. Darauf werden sich die Hersteller von RA-Software einstellen müssen.