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Mobilitaet unter Kontrolle

Mobilität unter Kontrolle

Zweimal war Microsoft-Chef Bill Gates für das Projekt 1997 in Deutschland, um mit Managern der debis, der EDV-Tochter von Daimler-Benz, zu diskutieren. Denn im Wachstumsmarkt der Verkehrskontrolle ist jeder dabei, der mit Technik Geld verdienen will. Bis zum Jahr 2010 werden dreistellige Milliardenumsätze erwartet. Rund um die Großstädte bricht immer häufiger an zentralen Punkten der Verkehr zusammen. Die Verkehrstelematik will deshalb mit moderner Steuerungstechnik immer mehr Autos über bisher noch ruhige Seitenstraßen und Schleichwege zum Ziel führen. So sollen, obwohl die Grenzen für den Straßenausbau oft schon erreicht sind, noch immer mehr Autos mobil gemacht werden. Nebenbei entsteht eine Infrastruktur, mit der Bewegungen der Bürger kontrolliert werden.

 

Mehr Verkehr auf ruhige Straßen

Im Großraum Tokio führt Debis zur Zeit ein Pilotprojekt durch. In diesem Ballungsraum mit 17 Millionen Einwohnern sind an tausenden Kreuzungen Induktionsschleifen installiert, die die Anzahl der passierenden Autos erfassen und an die Leitzentrale melden - ein System, das überall in der Welt in Großstädten eingerichtet ist und bisher nur der Ampelsteuerung dient. Die Stadtverwaltung meldet diese Daten jetzt elektronisch an Debis. Aus den Informationen über Staus und Verkehrschaos werden Hinweise für diejenigen Autofahrer erzeugt, die an das Debis-System angeschlossen sind. Auf ihren Mobiltelefon-Displays erscheinen Staumeldungen und Umleitungshinweise. Aber das ist nur die Opa-Variante. Fast alle neueren Autos in Japan haben schon Navigationsgeräte, die ihre Besitzer durch unbekanntes Terrain zum Ziel lotsen. Diese Geräte erhalten die Staumeldungen des Debis-Systems passend kodiert, und sie berücksichtigen sie während der Fahrt, um den Fahrer am Stau vorbei zu leiten - damit wirklich kein Meter Straße ungenutzt bleibt. Ein ähnliches, kleineres Projekt führt Debis in Berlin durch. Eine Vision, die bei Forschungsminister Rüttgers und anderen Technokraten Euphorie auslöst - da muß Deutschland Vorreiter werden! Die Verkehrsvermeidung, von vielen als Rettung vor Lärm und Abgasschwaden gewünscht, lehnt die Industrie ab. Mobilität sei ein Standortfaktor ersten Ranges! Der Verkehr soll "intelligent" werden.

 

Das Handy - freiwilliges elektronisches Halsband

Die Deutsche Telekom und Mannesmann Mobilfunk haben im Mai 1997 dazu eine gemeinsame Tochterfirma DGG gegründet, die an tausenden Stellen entlang der Autobahnen automatisch den Verkehrsfluß messen soll und jeder Telefonfirma die Daten aufbereitet zurückliefert. Zur Nutzung dieser Massendaten gründete die Telekom im August 97 ein "joint venture" mit debis namens Tegaron - auch deshalb das Interesse von Microsoft. Mannesmann Mobilfunk hat nur eine 100-%-Tochter dafür anzubieten, die Autocom GmbH.

Es geht darum, die Mobiltelefone in Autos zur Erfassung und Lenkung des Verkehrs zu benutzen. Ein Handy, von dem telefoniert wird, oder das bereit ist, Anrufe anzunehmen ("Standby-Betrieb"), liefert laufend Informationen über seinen Standort und seinen Inhaber an das Mobilfunknetz. Die Mobilfunknetze umfassen zehntausende von "Zellen", in die das Land zerlegt ist. In jeder Zelle steht ein Sender und Empfänger des Netzes. Er empfängt die Signale aller in seinem Bereich aktiven Funktelefone, so daß das System immer weiß, welcher Teilnehmer in welcher Zelle erreichbar ist. Zumindest wenn die Teilnehmer telefonieren, werden die Daten auch gespeichert, so daß die Telefonfirma feststellen kann, wer wann wo gewesen ist. Genausogut ist es möglich, auch die Standorte der nur empfangsbereiten Empfänger festzustellen und vorrätig zu halten.

Von den Millionen Handys, die es in Deutschland gibt, ist ein großer Teil gerade während der Dauer von Autofahrten aktiv. Zu Hause und im Büro ist man mit normalem Telefon erreichbar, das Mobiltelefon nutzt man bei der Automobilität. Durch geeignete Auswertungsprogramme kann die Telefonfirma jetzt feststellen, wie sich Ströme von aktiven und standby-Handys von Zelle zu Zelle durchs Land bewegen. Es sind so viele Handys aktiv, daß schon von diesen Daten Rückschlüsse auf die Verkehrsdichte und Geschwindigkeit auf deutschen Autobahnen möglich sind, die man an die Fahrer melden kann. Noch besser wäre es aus Sicht der Systembetreiber, wenn "intelligente" Autos, mit einem Empfänger des Satellitensystems GPS (Global Positioning System) ausgestattet, Standort und Geschwindigkeit ständig auf 10 Meter genau an die Mobilfunker melden würden. Ein Tauschgeschäft - du lieferst uns deine Position, wir dir die Verkehrsinformation - wollen die Funknetzbetreiber den Kunden anbieten. Wenn nur einige Prozent mitmachen, kennt das System die Verkehrslage schon x-mal genauer als heute ADAC und Polizei zusammen. Damit sich das ganze lohnt, müssen die mobilen Tauschpartner noch 20 oder 30 Mark monatlich draufzahlen.

Bei dem Versuch in Tokio soll die Investition so manchem Autofahrer lohnend erschienen sein - er war zur rush-hour oft 20 Minuten kürzer unterwegs. Während heute die Besitzer der Nobel-Karossen von Mercedes und BMW neben den Uralt-Autos der Armen im Stau stehen, sollen bald Verkehrsleitsysteme die zwei-Klassen-Gesellschaft im Sraßenverkehr wiederherstellen. Der Stau, in dem sich die gebrauchten Kadetts und Golfs verfangen, wird von krawattentragenden Herrenmenschen souverän umschifft. Ihre Autos werden schon jetzt serienmäßig mit modernsten Verkehrsleitsystemen geliefert. Der eine hat´s, der andere nicht.

Daß die Besitzer dieser Geräte im Grunde genauso überwacht und gelenkt werden, wie man es für Straftäter plant, fällt nicht auf. Moderne Justizminister wollen ihre Delinquenten mit einem "elektronischen Halsband" versehen, so daß sie von ihrem Bewährungshelfer oder Bewährungscomputer hinsichtlich ihres Verbleibs auf dem Pfad der Tugend überwacht werden können. Die zugesicherte Anonymität der Datenerhebung bei der Verkehrstelematik wird gegen die Vorkämpfer der inneren Sicherheit genauso kurzen Bestand haben, wie es die Abhörsicherheit des Mobilfunks hatte. Ist die technische Infrastruktur einmal vorhanden, dann wird das, was machbar ist, auch gemacht.

 

Universelle Modulation

Der französosche Philosoph Gilles Deleuze sieht schon seit Anfang der achtziger Jahre eine neue Form der sozialen Kontrolle heraufziehen, den Wandel von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft. Einschließung, Identifikation, Prüfung und Disziplinierung seien die Methoden der Disziplinargesellschaft. Die Kontrollgesellschaft zeichne sich dadurch aus, daß die Position jedes Elements, jedes "Dividuums" in einem Feld jederzeit bekannt sei und beeinflußt werden könne z.B. durch sich hebende oder senkende Schranken, kleine Belohnungen und Ärgernisse - das Prinzip sei "universelle Modulation".

Die intelligenten Assistenten des Autofahrers sollen nicht nur gegen den Stau helfen. Die Kopplung von Handy und präziser GPS-Positionsmeldung ist jetzt schon in zahllosen LKWs verwirklicht und dient den Speditions-Zentralen zur Disposition über ihre Flotten und zur Kontrolle der Fahrer. Die ungenehmigte Pause mit den Kollegen an der Raststätte, oder daß einer mit einer irgendwo gesparten Stunde einen Schlenker zur Freundin macht, ist dort nicht mehr drin. Überall, wo Flotten verwaltet, Vertriebsmannschaften dirigiert werden, halten elektronische Kontroll- und Lenksysteme Einzug in die Fuhrparks. Ein vermißtes Auto per Funk orten und stillegen - das wird bei den Autovermietern bald Routine sein. Entsprechende Zusatzleistungen will auch Debis seinen Kunden bei Bedarf anbieten. Auf freiwilliger Basis werden private und Firmenwagen mit Geräten ausgestattet, mit denen ein Berechtigter von irgendwoher - aus der Firma, von zu Hause aus - feststellen kann, wo sich ein Auto gerade befindet, mit denen er den Fahrer ansprechen und das Auto anhalten kann.

Es wird normal, daß jemand unterwegs nicht mehr weg ist. Auf der Straße ist man ebenso reguliert, eingesponnen und erkannt, wie auf der Arbeit oder in der Schule. Road movies wie "Thelma und Louise", "Die Abfahrer" oder "Wir können auch anders" werden einmal ähnlich einem Western an die längst vergangenen Zeiten erinnern, wo Freiheit und Abenteuer noch denkbar waren. Irgendwann könnte es auch seinen Sinn bekommen, daß die Autokennzeichen bereits seit Jahren neue, maschinenlesbare Zeichen erhalten. Verkehrsüberwachungs-Kameras könnten ihre Bilder an Zeichenerkennungs-Programme übergeben, so daß auch die Autos ohne Handy an Bord in den Genuß automatischer Diebstahlssicherung und Standorterkennung kommen.

Durch Systeme wie die Verkehrstelematik wird ein Zielkonflikt organisiert - hier derjenige zwischen Mobilitätswunsch und knappem Verkehrsraum. Einerseits wird der Konflikt herbeigeführt, indem das Notwendige - Verkehrsvermeidung - unterbleibt. Andererseits wird er gestaltet. Unter den dadurch geschaffenen Verhältnissen ist es für die meisten sinnvoll, sich freiwillig in die organisierende Obhut des Kontrollsystems zu fügen, sich und das Problem so organisieren zu lassen. Das Konzept der Grundrechte - auf Freizügigkeit, auf Datenschutz - ist dafür nicht geschaffen. Derartige große Kontrollsysteme schaffen Verhältnisse, in denen Grundrechte bedeutungslos werden.