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Warum gab es kein Bündnis zwischen DKP/DDR und "Neuen Linken"

"Zeige uns den Weg, den wir gehen sollen, und wir
Werden ihn gehen wie du, aber
Gehe nicht ohne uns den richtigen Weg
Ohne uns ist er
Der falscheste"

(B. Brecht, aus dem Gedicht "Wer aber ist die Partei?" im Stück "Die Maßnahme")

Als altes DKP-Mitglied und Kind kommunistischer Eltern und Großeltern aus West und Ost möchte ich zu der Diskussion um das nicht zustande gekommene Bündnis zwischen der "Neuen Linken" einerseits und der kommunistischen Bewegung einschl. der sozialistischen Staaten andererseits Stellung nehmen. Und zwar so, wie ich es in persönlichen Gesprächen immer gemacht habe, wie man es jetzt aber erst aufschreiben kann - damit Ihr seht, daß der Untergang des Realsozialismus auch seine gute Seite hatte. Er ermöglicht eine Offenheit zwischen uns, die es bisher nicht geben konnte.

he. und Claudia Gohde kritisieren im ak die fehlende Bereitschaft der SED und DKP, offen z.B. mit dem KB oder anderen nichtkommunistischen Linksgruppen zu diskutieren. Statt dessen wurde administrativ ausgegrenzt und über ZuträgerInnen Infos über diese Gruppen gesammelt, zu einer Diskussion kam es nicht.

Selbstkritisch wird Euer eigener Anteil an der Diskussionsverhinderung teilweise gesehen - nicht selbstkritisch genug allerdings. Z.B. der Vorwurf des Revisionismus und ähnliche unsinnige Verbalschmankerl. Sie wurden von KommunistInnen, die doch im Gegensatz zu Euch fast alle unter Adenauer oder Hitler eingesessen hatten, als extrem beleidigend empfunden. Pseudorevolutionäre KleinbürgerInnen allerdings, die den Realsozialismus haßten, aber mit Euch zu den RevolutionsgewinnerInnen gehören wollten, die konntet Ihr damals in Massen gewinnen für Euren Verein mit romantischen Revolutionsvorstellungen und "Revisionismuskritik". Jetzt sind die zwar alle bei den Grünen oder sonstwo, aber Ihr wart mal fast "die stärkste der Partei'n" damit. Die waren Euch viel wichtiger als wir, nicht die habt ihr mit Dreck beworfen, sondern uns! Das haben wir Euch übel genommen!! Da waren wir nachtragend! Es war für uns natürlich viel verletzender, von Euch beleidigt zu werden, als von Sozialdemokraten!

Aber das war nicht das entscheidende. Wir hatten an uns ja den Anspruch, stahlhart und gefühllos zu uns selbst zu sein. Der entscheidende Grund liegt tiefer.

Von 1917 bis 1986 mußten KommunistInnen in vielen Fragen die Fresse halten. Das war erforderlich, weil uns viel mehr Macht zugefallen ist, als wir KommunistInnen allein hätten verteidigen können. Wir mußten Kompromisse machen mit "dem Volk" oder Teilen davon, mußten teilweise Haltungen und Absichten verschweigen und trotzdem behalten und deswegen brauchten wir Disziplin, Einheitlichkeit. Das ist der tiefere Grund für das Fraktionsverbot in der KPR(B) noch zu Lenins Zeiten gewesen, und die Gründe dafür sind bis 1989 nicht weggefallen. Es war natürlich die ganze Zeit nicht möglich, mit Gruppen öffentlich zu diskutieren, die offen forderten, was wir zwar wollten, aber für uns behielten. Was hätten wir da sagen sollen?

 

Beispiel Nr. 1: Die Konsumscheiße

Meine Eltern und die meisten älteren KommunistInnen, die ich kannte (und das waren viele) haben materiell sehr anspruchslos gelebt und haßten z.B. Privatautos und Fernseher. Meine Eltern haben sich erst einen Fernseher gekauft, als wirklich alle anderen einen hatten und sie das Genöle von meinem Bruder und mir nicht mehr aushielten. Als KommunistIn besitzt man allenfalls Bücher und ansonsten spendet man für Befreiungskämpfe. Daß es in der DDR Autos und Fernseher gab, hielten sie für eine notwendige taktische Anpassung. Das Volk ist so bescheuert. Wenn sie das nicht kriegen, dann arbeiten sie gar nicht mehr, dann können wir unseren Staat drüben dicht machen, dann kommen auch da die Kapitalisten wieder an die Macht. Dann gibt es wieder Hunger und Krieg. Diese Überlegungen waren unter den KommunistInnen normal. Deshalb haben wir zum Fernsehen der DDR, zum Trabi und zum Spießerschrott nichts gesagt.

Wenn man die "eigentliche" Argumentation (wir sind gegen Fernsehen, aber das ist eine notwendige Konzession) in der DDR offen diskutiert hätte in der SED, dann hätte die SED nicht mehr Mitglieder gehabt als hier die DKP. Denkt mal daran (falls Ihr alt genug seid), wie fernsehgeil das Volk damals war! Eine terroristische Diktatur einer winzigen proletarischen Elite wäre nicht zu halten gewesen. Man mußte die Fresse halten. Was hätte man in einer öffentlichen Diskussion mit Euch, blöd wie Ihr damals wart, sagen sollen? Ihr habt Euch doch dann hingestellt und gesagt, "so dumm sind die Massen aber gar nicht, im Gegenteil, die wahren Helden sind die Massen usw." Und dann hätten die GenossInnen aus der DDR ihr eigenes Volk beschimpfen müssen, um vor Euch Recht zu behalten. Sie konnten aber leider die Wahrheit nur mit leiser Ironie unter vier Augen sagen: "Wir schaffen es fast genauso wenig, unsere Leute zu überzeugen, wie Ihr Eure!"

 

Beispiel Nr. 2: Ehe und Familie

Ich kannte bzw. kenne viele Genossinnen, die schon vor 1933 oder vor 1948 für Wohngemeinschaften und Kommunen und gegen Kleinfamilien waren, und für die die völlige Anerkennung von Homosexuellen eine Selbstverständlicheit war. Aber nachdem die KommunistInnen in der DDR an die Macht kamen, haben viele von ihnen gesagt: das können wir dem Volk nicht auch noch zumuten! Wir sind für die Russen, das Volk haßt sie, wir sind für die Reparationen, gegen den Marshallplan, für die Bestrafung der Naziverbrecher. Damit müssen wir uns gegen den Widerstand des Volkes durchsetzen und sind doch auf seine Mitarbeit und Zustimmung angewiesen. Da sollten wir nicht noch mit "Formalismus", mit "abstrakten Fragen" provozieren an Stellen, wo es nicht unbedingt nötig ist. Wir provozieren auch so schon bis zur Grenze der Rebellion, siehe 17. Juni!

Viele KommunistInnen hatten auch rückschrittliche Positionen, mit denen sich niemand auseinander setzte. Weil man meinte, "die Fresse halten" zu müssen. Wahrscheinlich zu Recht, weil mit solchen Diskussionen der ganze Staat hätte gefährdet werden können.

Was man natürlich an beiden Beispielen auch sieht, ist die Schattenseite: Verspießerte Positionen galten jahrzehntelang als richtig, haben sich in den Köpfen in diesen Ländern als "sozialistische Politik" durchgesetzt. Gerade in den Generationen in der DDR, die den Kapitalismus nicht erlebt haben. Es war eben "nicht vorgesehen", daß man über so lange Zeit mit dem Kapitalismus im Wettstreit der Dummheit und Verbödung stehen muß! Daß man 70 Jahre lang die Fresse halten muß! Damit hatte Lenin nicht gerechnet.

 

Beispiel Nr. 3: Nationalismus

Ich brauche das wohl kaum noch auszuführen. Sehr viele KommunistInnen der Welt, von den Deutschen alle die ich kannte, wollten nach 1945 keine sozialistischen Vaterländer. Den deutschen ging schon die UdSSR mit ihren Unionsrepubliken zu weit, die hätten am liebsten einen supranationalen Einheitsstaat gehabt - logisch, nach den Erfahrungen. Das wäre damals als internationale Strategie der UdSSR und der "Kommunistischen Weltbewegung" einfach Amoklauf gewesen. Man hätte so knapp die UdSSR halten können, wenn überhaupt. In Polen hätte es dann vielleicht insgesamt 100 KommunistInnen gegeben. Viele mußten in den sauren Apfel beißen, mußten französische, deutsche, tschechische, polnische KommunistInnen sein statt internationale, was ihren Gefühlen viel besser entsprochen hätte.

 

Beispiel Nr. 4: Quotierung

Fast alle Kommunistinnen im Westen waren natürlich für Quotierung von Berufsbildungs- und Arbeitsplätzen für Frauen. Auch für Quotierung im Sozialismus. Aber: selbst die linken und oppositionellen unter den Ostfrauen haben das ja bis heute z.T. nicht eingesehen. Aus ihrer Sicht schien es so, als hätten sie enormes erreicht und könnten noch viel mehr erreichen nur durch ihre Leistung. Welche Frau möchte da eine Quotenfrau sein? Du hattest in der DDR das Problem, das absolut keiner die Forderung verstanden hat. Weder Mann noch Frau. Und wir waren ja gegenüber den GenossInnen dort nicht weisungsberechtigt.

Wenn wir nun in Westdeutschland Quotierung forderten, entstand das Problem der "inneren Schlüssigkeit". Wie willst Du erklären, daß Quotierung im Kapitalismus richtig ist, aber im Sozialismus verkehrt? Das geht nicht! Für die GenossInnen von drüben erschien das als überzogene Politik von "bürgerlichen Frauen", die an die Fleischtöpfe der bürgerlichen Politik wollten.

Das reicht. Ich denke, Ihr könntet jetzt kapiert haben, warum man von 1917 bis 1986 im Grunde nur disziplinarisch, aber nicht inhaltlich mit linken Abweichlern umgehen konnte. Das war keine Willkür, sondern eine historische Gesetzmäßigkeit, da steckte Logik hinter. Wir wollten ja prinzipiell nichts gegen Euch einwenden, sondern meinten einfach, daß solche Leute wie ihr in unsere Partei gehören. Wir wollten natürlich die "Linksabweichler" bei uns organisieren, bei uns mit Euch diskutieren, aber nicht vor den Massenmedien, vor dem Volk der DDR. Wir hätten (gemeinsam mit Euch) dieselben Massen organisieren wollen, die damals Ihr organisiertet, um so viel rauszuholen wie möglich, um den Sozialismus zu schützen und zu verbessern. Statt dessen habt Ihr (in unseren Augen damals) potentielle revolutionäre Kraft gespalten und zerstreut.

 

Und jetzt zu Klaus Croissant.

Viel konnte er an alledem nicht ändern. Aber immerhin, im Fall der Quotierung, oder bei ähnlichen Fragen, konnten er und andere sicher durch Diskussionen erreichen, daß bei den GenossInnen drüben mehr Verständnis aufkam für "unsere Kampfbedingungen" und dadurch eine "korrekte Einschätzung" z.B. von Alice Schwarzer und der Zeitschrift "Emma". Vielleicht hat er sogar die eine oder andere Änderung in den Schulungsprogrammen für DKP-Kader in der DDR oder in der direkten Anleitung der DKP erreicht. Vielleicht sogar eine größere Offenheit, wenn Quotierungsdiskussionen auch in der DDR aufkamen und eine "operative Einschätzung" des MfS gefragt war. Wer weiß.

Was er getan hat, war auf jeden Fall nicht viel unsinniger als die Politik des KB oder die der DKP. Die Zeit von 1917 bis 1986 war für KommunistInnen eine Zeit absolut grauenhafter Alternativen, zwischen denen frau und mann sich wohl oder übel entscheiden mußte. In der DDR aufgewachsen, wäre ich sicher Oppositioneller geworden. Hier wäre ich KBler gewesen, wenn ich nicht zufällig von KommunistInnen abstammen würde. Erfreuen wir uns an der Möglichkeit, jetzt klarer zu sehen und offener zu reden.